Leerverkäufe – ethisch bedenkliche Spekulation oder legitimes Finanzinstrument?

An den Finanzmärkten haben die sogenannten Leerverkäufe eine sehr lange Geschichte. Bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts nahm ein Händler in den Niederlanden derartige Transaktionen an der Börse in Amsterdam vor. In den folgenden Jahrhunderten wurden solche Geschäfte nur in einem relativ eingeschränkten Maße ausgeführt, allerdings waren die Börsen in der ganzen Welt auch noch nicht derart vernetzt, wie es heute der Fall ist. Aus diesem Grund war die Liquidität relativ eingeschränkt, was sich in jedem Fall als limitierender Faktor auf Leerverkäufe ausgewirkt hätte.

In der Folge der heftigen Kursstürze an den US-amerikanischen Börsen im Jahr 1929, die sich zu einer weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise entwickelten, wurden Leerverkäufe in den USA eingeschränkt oder sogar komplett verboten. Erst im Jahr 2007 wurde das Gesetz wieder aufgehoben, in der Folge nutzte die Finanzindustrie dieses Instrument schnell in großem Umfang.

Leerverkäufe können durchaus sinnvoll sein

Die Frage, ob es sich bei Leerverkäufen von Waren oder Finanzprodukten um eine ethisch bedenkliche Spekulation oder um legitime Geschäfte handelt, ist nicht ganz einfach zu beantworten. Ähnlich wie bei vielen anderen Finanzprodukten, die im Zuge der weltweiten Finanzkrise in den vergangenen Jahren in die Kritik geraten sind, gibt es auch bei Leerverkäufen zwei Seiten der Medaille.

Natürlich kann es bei einer zu umfangreichen Nutzung solcher Transaktionen zu Problemen an den Märkten kommen. Allerdings sind Leerverkäufe im Grundsatz kein Instrument, das ethisch bedenklich sein muss, im Gegenteil. Gerade dann, wenn sich der Verkäufer im Besitz einer Ware befindet und diese verkauft, aber erst zu einem späteren Zeitpunkt liefert, können von diesem Geschäft sowohl der Käufer als auch der Verkäufer profitieren. Beide gewinnen Planungssicherheit und müssen keine Bedenken mehr vor steigenden oder fallenden Preisen der jeweiligen Ware haben. Diese Sicherheit im Rahmen der Planung ist im Geschäftsalltag oft wesentlich wichtiger als die möglichen Gewinne, die sich aus den Preisbewegungen ergeben können.

Ungedeckte Verkäufe sind problematisch

Bei ungedeckten Leerverkäufen ist das Bild hingegen deutlich weniger eindeutig. Diese Instrumente werden oft zu Spekulationszwecken eingesetzt, zum Beispiel wenn Verkäufer auf fallende Kurse bei einer bestimmten Aktie setzen. In diesem Fall können sie die Aktien verkaufen, ohne sich bereits im Besitz dieser Papiere zu befinden; der Kauf findet erst zu einem späteren Zeitpunkt statt. Falls es in der Zwischenzeit allerdings zu einem Kursanstieg kommt, können diese Käufe dazu führen, dass der Kurs noch weiter ansteigt, obwohl es dafür keine eigentliche Begründung gibt.

Aus diesem Grund haben im Zuge der Finanzkrise eine ganze Reihe von Ländern solche ungedeckten Leerverkäufe ab dem Jahr 2007 komplett verboten oder zumindest eingeschränkt. In Deutschland wurde dieses Verbot zwar im Januar 2010 wieder aufgehoben, weil sich die Lage an den Märkten deutlich entspannt hatte. In der Folge wurden jedoch Mechanismen zur Überwachung solcher Leerverkäufe eingeführt, die die Bundesaufsicht für Finanzdienstleistungen (BaFin) überwacht.

Eine Regulierung dieses Marktsegments ist jedoch nicht einfach. Leerverkäufe finden schließlich nicht an der Börse statt, sondern zwischen zwei Handelspartnern. In vielen Fällen sind das Investmentfonds, die untereinander ein solches Geschäft abschließen. Um eine wirksame Regulierung zu erreichen, müssen derartige Leerverkäufe also zumindest durch eine offizielle Stelle abgewickelt werden, über die das Erstellen von Statistiken und Übersichten zu diesem Thema möglich ist.

Binäre Optionen als Alternative

Im Zuge der zunehmenden Regulierung von Leerverkäufen, die zur Spekulation eingesetzt wurden, haben sich in den vergangenen Jahren binäre Optionen entwickelt. Diese Optionen sind ein Instrument, das die Vorteile von Leerverkäufen bietet, ohne sich dabei auf den Kurs des Basiswerts auszuwirken. Schließlich geht es bei binären Optionen ebenfalls um ein Geschäft zwischen zwei Handelspartnern, für dessen Abwicklung jedoch nur der Kurs zum Auslaufzeitpunkt der Option wichtig ist. Eine Lieferung des Basiswerts ist nicht nötig, somit ergeben sich hier keine moralischen Bedenken wie bei Leerverkäufen.